Dienstag, 2. März 2010

Bericht über die Aufstellung der letzten - inhaltlich jedoch leeren - Tage von Grün, verfasst in einem seltenen Moment außerordentlicher Gesetztheit [Teil 2]


Eine an Gottvertrauen mahnende Trotzreaktion, von vielen seiner Altersgenossen als Gnadenakt angesehen, hatte Grün schon vor etlichen Jahren - Jahren, Tagen, wer zählte sie noch? Jene Schreibtischauflage jedenfalls hatte ihren Glanz innerhalb der Gründerzeit der verallgemeinerten Bundesrepublik wohlwollend verloren - in eine Existenz geworfen, welche keinerlei Rückgriff auf bekannte Interessen, grundlegende Kenntnisse oder strukturierende Elemente zuließ, die - sei es auf die ein oder andere Weise - als hilfreich angesehen hätten werden können, nicht jedenfalls während dieses Aufenthalts, welcher, zeitlich gesehen, doch stets dazu tendieren suchte, eine spezielle (Man erinnere sich nur an den Ausruf des Kritikers: "Er denkt, er sei etwas spezielles: ein Spezi!") Eigenart Grüns darzustellen, eine Art Rollschuhfahren leicht abgeänderter Art, eher einer Achterbahnreise ähnlich, dabei aber doch seltsam elegant, nicht fortwährend krachend, schreiend, das elende Geräusch der Freiheit nachhämmernd, nein, eher beiläufig banal, im Aufprall stets solide, rückgratbeweisend, solange die Fahrbahn eingehalten wird: Alles in allem eine vertrauenswürdige, liebenswerte, dennoch ein wenig zu aufdringliche, beiläufig fast anmaßende Art, im Vorbeigehen in manchen Situationen - aufgrund des fortgeschrittenen Alters sicherlich zu vernachlässigen - auch ein wenig zu modern.


Gewissen Traditionen folgend wird uns die Zukunft in nichts nachstehen, solange wir es wenigstens gedacht haben; Visionen wie diese erschaudern bei der Tatsache Grüns, welche sich spielend hätte im Kreise drehen können angesichts der Mannigfaltigkeit besitzwahrender Widerstände, deren einzigstes Ziel in der Reduktion der allgegenwärtigen und gesellschaftlich bestimmenden Träume oder vielmehr Träumereien vieler Hundert Neugeborener bestand, und welche sich robust verschanzt hatten, hinter Mauern, gestützt von der Hände Arbeit, welche stets Anstalten machten, von sich aus auf eben jenes zu verzichten, was nicht nur  grundsätzlich sondern selbstverständlich allen - und hiermit sind tatsächlich alle gemeint, wenngleich es schwerfallen mag, dem ein oder anderen das zugestehen zu müssen, was man sich (zumindest der eigenen Erfahrung nach) selbst erarbeitet hat - willfährig gehört.



Grün arbeitete innerhalb seiner Verantwortlichkeit mit einer bis dahin beispiellosen Akribie; nein, Akribie scheint an dieser Stelle das falsche Wort, Anarchie trifft wohl eher den Zustand seines Bewusstseins, seiner Fähigkeiten und seiner Taten, was jedoch keinerlei Modifikation der Resultate bedeutet, deren Urheber er nicht einmal war, nicht einmal interpretiert hatte er sie, einzig und allein hingegeben hatte er sich ihnen, um im Vorgriff das zu erfahren, was ihn erwartete, wobei dennoch oder gerade deshalb ein gewisser Maluspunkt auf ihm lasten könnte, in Richtung einer - sagen wir - selektiven Wahrnehmung, man wird jedoch im Folgenden feststellen, das solch eine Befürchtung vollkommen abwegig ist, beziehungsweise weitaus weniger abwegiger als das Gegenteil. Um jedoch derartige Sorgen im Vorfeld nicht nur zu zerstreuen, sondern vielmehr ausschließen zu können, sollen folgende zwei Beispiele - fürwahr aus dem Zusammenhang gerissen, auch werden sie gerade deswegen keine weitere Rolle mehr spielen - dienen:



1)
Grün betritt im Sommer die Oberfläche, aus einem U-Bahn-Verteilergeschoss kommend, und findet sich nahe der Innenstadt wieder, ohne dies allerdings bewusst zu bemerken und sich dieser Tatsache anzupassen. Er geht ein paar Meter und passiert eine kleine Gruppe von Menschen, welche vor einer offensichtlich verschlossenen Tür steht, die - wäre sie geöffnet - den Weg in eine Sparkassen-Filiale bereitet. Ein den Bräuchen der Büro-Etagen gekleideter Mann tritt heran, fragt die Gruppe, ob es sich hier um die Eingangstüre der Sparkasse handele, rüttelt an dieser, ohne zuvor eine Antwort erhalten zu haben, wendet sich dann erneut an die Gruppe und fragt diesmal, weshalb sich die Türe nicht öffne ließe. Grün erfährt dies im Vorbeigehen, ist sich der Tragweite jedoch nicht bewusst.



2)
Während eines alltäglichen Vorgangs, welcher keinerlei Bedeutung für die folgende Episode hat, wartet Grün auf Ergebnisse und vertritt sich aufgrund der Zeit des Wartens und des Wissens darum die Beine; dabei ist er zwangsläufig in seine Umgebung verwickelt, obwohl er sie nicht absichtlich beobachtet. Grün bemerkt ein Pärchen, welches sich tanzend auf der gegenüberliegenden Straßenseite bewegt, und führt dies auf laute Jazz-Musik zurück, die aus einem Fenster dringt, vor dessen Haus er steht. Jugendliche laufen an ihm vorbei und einer von ihnen bemerkt die, wie er sich ausdrückt, seltsame Musik, während einige Minuten später eines von drei Mädchen,  welche urplötzlich aus der der Sichtweise Grüns entgegengesetzten Richtung auftauchen  - in der Nähe liegt eine Schule, es ist Mittagspause, daher das unverhältnismäßige Aufkommen junger Menschen - sich plötzlich fröhlich jauchzend für die Süße (gemeint ist hier die Niedlichkeit) eines Objekts innerhalb eines Schaufenster begeistert; das zweite Mädchen folgt ihrem Ruf und der Betrachtung, das dritte, weitaus dicklichere Mädchen wendet sich zwar auch der Schaufensterauslage zu, bemerkt jedoch nur, diese sei hässlich. Grün besieht erst weitaus später und auch in räumlich sicherer Entfernung das Schaufenster, kann sich allerdings nicht entschließen.



Es fällt leicht, die Anklage zu erheben, sie dessen zu bezichtigen, dass sie ein gutes Leben haben, jedoch vergisst man all zu oft, dass sie hart dafür gearbeitet haben.

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